28. Mai 2008


ariel

I
die grenzen sind los. an den ketten zu zerren, erwies sich als lohnend. warum kann ich ihn nicht wiederrufen? was fehlt? liegt es an der einbildung, irgendwo zu sein?
ich stehe im treppenhaus und warte.

II
(du bist so selbstverständlich, nie könnte ich so selbstverständlich sein.
ich dachte immer, man nimmt mich mir nicht ab. so ist das natürlich, weil ich mich mir nicht abnehme. genug davon.)

III
hier nicht, hier nicht, war alles, was ich denken konnte, aber was hilft das, es ist kein argument.
wo ist immer da, ganz gleich wo. ich sagte, komm, und da war er. ein komischer vogel, wirklich.
wirklich, sagte ich.

VI
seinen namen erriet ich erst, als er nicht mehr kam. es kann auch gleich sein, aber man braucht einen titel.

V
niemand geht hinunter. hinauf auch nicht. sie scheinen hinter den türen zu sein. wie unzulässig man sich vorkommen kann. das druckknopflicht hat sich abgespult. (ob es das immer noch gibt? vielleicht sollte ich in dieser frage klarheit schaffen, das wäre ein verdienst.
statt hier starr der dinge zu harren.
dinge?)

VI
ich sage dir nun, daß es spät ist. woher ich das weiß? es ist eine sachliche feststellung, meinem zustand angemessen und der finsternis in diesem seltsamen - raum.
bald müssen leute kommen. es kann nicht länger geduldet werden. es ist kein aufenthalt im eigentlichen sinne.

VII
(was dann.)


26. Mai 2008


nächte

alles aufbieten
unbedingt sprechen
um des lieben lebens willen
begütigen die dunklen mächte
denn in dem, was ist
ist, was noch nicht ist
sich aufbieten
lange weiße nächte lang –
„da bemerkte schehrezad
daß der morgen begann“


24. Mai 2008



publishing is the auction of the mind.
emily dickinson



zu teuer

viel wohlfeile sehnsucht
geht zu markte, geht gut

wir leben und handeln
mit sehnsucht
um zu leben

daß die unsere
sich sehr schlecht verkauft
wie gut




zeit

an tag nach tag
streiche ich entlang
darin
all das andere
was ich nicht bin
davor
was ich bin
und nicht sehen kann




wunder

für mich, die
unwahrscheinlichste
von allen
hat´s rote rosen
geregnet, mir sind
sämliche
wunder begegnet

daran will ich mich
halten
wenn einmal ich
und alles alte
beim alten




worum es geht?

in wahrheit sind sie vögel
um vögel kannst du nicht ringen
scheu sind sie
aus schlechter erfahrung
mit recht fürchten sie dich
deine käfige und netze
bist du auf der jagd
so bleiben sie fort
bitte sie um hilfe
halte ihnen in zutrauen
deine hand hin
mit ein paar samen
von deinem besten
und aus der freien luft
werden sie zu dir kommen
sogar die großen, wilden
mit dem herben schrei
mit dem reißenden schnabel
werden dir gut sein
denn kommst du zu ihnen
so verstehen sie dich
nicht du sie
berühre sie leicht
suche ihre augen
fühle ihren herzschlag, ihre wärme
einen augenblick
du kannst sie nicht besitzen
sonst sterben sie
nur ihre weise
kannst du versuchen
sie sind über und über
mit leben beschäftigt
schenk dich ihnen, laß dir geben
ihr gleicht euch in einem
sie sind zwecklos
wie du




worauf es ankommt

die ersten fahlen zeichen in der luft, am boden –
was noch kommen wird, senkt sich und fällt.

innen in uns sind wir ohne alter
doch sind wir auch außen, nur der schein flieht.

was uns nun wieder zum ersten mal geschieht
geschieht uns schon seit langem nicht mehr
zum ersten mal.

und ich fühle klarer, da ist ein maß für
liebe und leben, auf sich ankommen lassen
muß man sie
solange namen und dinge den zauber haben.




winterbild

abendliche möglichkeiten stille tiere
drücken ihre nasen an die kalten scheiben
weichen zurück in der selben sekunde
die frage danach ist sinnlos laß mich
nicht mehr wissen was das heißt wir haben
nicht einmal unsere augen nicht einmal sie das
herz schlägt mit sanfter unerbittlichkeit
gegen die wand
klopft ein signal, worauf es hinaus will




wege

die übergänge fließen die
brücken und dämme
auf denen es sich
geht nicht zu halten und was
darunter sieh dich nicht
um nicht hinab
geh




vom sehen und hören das vergeht

unbestimmte bewegung
die zeit wird weich

erster frost hat das eben noch
frische eingefärbt

dazu wabern lichtlos
graue nebel

und was lebt
ist sich unbekannt geblieben

wind und regen
lösen den rest

wo die wildgänse rufen
ist nichts mehr zu sehn




vergib nicht

der herbst bringt alles
so sehr in bewegung –
nach wehender
septembernacht
den tag einlassen
soweit vorhanden
nein keine bitterkeit
ich will es nicht
dieses scheußliche gefühl
bei mir zu sein
nichts ist anders zu denken
als es kam
vergib keinen tag
der nicht ein anderer wird
der herbst verzehrt sich
nach dem, was kommt
vergib keinem tag
der wie der andere war
keiner soll mehr
im gleichmaß sein
jeder einer derer
die einen mitnehmen
und auseinander hier allein
sind wir zusammen
in diesen worten
in einem und nie wieder
solchen augenblick




unverständnis

immer wieder glaube ich, ich müßte
dich dir, mich mir, mich dir, dich mir
erklären –
das ist ein so vollkommener unsinn
wir verstehen uns ganz von selbst




unreduzierbar II

nichts zum entsagen
es steht da
weiß sich kaum
noch andere zeichen
weigert sich frei
sich selbst zu löschen
gibt sich
aus




unbeschreiblich

wenn ich wüßte ob es dieser augenblick sein wird
der irgendwann ganz unvermutet
aufscheinen wird in einer aura einem
geisterduft einem höheren licht jenem
kleinen stich des erkennens du bist es
im dunklen herzen nicht zu beschreiben von
dem niemand weiß warum dieser eine kein
anderer und nur diesen augenblick lang dann
nie mehr wieder zurückzuholen
einfach nur fort und verschwunden




unauffindbar

aus leerem nichts
senken sich einzelne flocken
in den kegel des lichts
gerät der dünne winter
aus papier
der die seelen
in gegenübernes trennt

doch behalte ich heimlich
alle zeichen
um weiter fortzugehen
bewege sie
in meinem herzen
werde das buch
in den warmen händen




überlaufen

dies wo hin müssen
woher hat man das
nicht einmal mehr selbst
verständlich auf den beinen
dann kann es sein
du siehst alles zu scharf
nun ist es also schon
gegenwart
daneben läuft eine wahrheit
die hält nicht schritt
ein schatten fiel
wenn er sich hebt
wird er jemanden
mitgenommen haben




tohu und bohu

wie es aussieht bei dir
als wenn der blitz eingeschlagen hätte
aus deinem sorgfältigen himmel
heilige verschwendung

macht ja nichts
du müßtest nur aufräumen
das meiste liegt herum
sonst wäre es zu finden




szene

ich bin das salz
in deiner suppe
erinnert mich an was
komm grad nicht drauf
reich es doch mal rüber
danke
hast das du gekocht
oder war ich heute dran
wohl nicht ganz und gar
bei der sache gewesen
aber der erste satz stimmt
nun guck doch nicht gleich so




störenfried

was habe ich noch mit euch gemein
ich glaube nicht an atkins diät
und daran, daß schmerzen geheilt werden können
nicht an euern aktivismus in den folterkammern
für den ihr teuer bezahlt
nicht an eure reisen und kongresse
im warmen dunst der gemeinschaftlichkeit
und eure urlaubsvideos fünf mal im jahr
nicht an eure antiquitäten von den flohmärkten
und eure geleckten wohnungen
eure in kursen schwer erworbene
kennerschaft vom wein
ihr seid so sehr viele und ich bin allein
ich sollte mich verstecken
ich sollte schweigen
mich nicht immer so verraten
euch verschonen mit meiner zwiespältigkeit
die ihr riecht meilenweit




stille erregung

jahre unermeßlicher ...

von irgendwoher
ahnung daß harte
wahrheit
in wahrheit
anders ist




sterngleich

sterne am morgen -
sich finden in diesem nur
dasein, nichts tun

als aus dem dunkel
ein paar silben erlesen




sonate für winde und wetter

dunkel
die lichter hinter sich
lassend

ohren geben ton
aus vollen
flaschenhälsen

rauschen, münden
in höfische tänze
langsam und leicht

darunter continuo
das sich vertut
oder so lautet, dis-

harmonie, mit der
ich nicht gerechnet habe
lebhaftes finale




sommer

zu üppig das grün
um die nachbarn zu sehen
aber im winter
stellen wir jeder von uns
eine lampe ins fenster




undertow

das meer – auf einmal
hatte es allen
sand gewaltig
unter den füßen weggesogen

die welle wirbelte
dich so haltlos herum
daß oben, unten, hören
und sehen verging

wäre dieser augenblick
einen augenblick
zu weit gegangen -
alles weitere ein kurzes
entsetzen, und fertig

nun ist noch immer
nichts bereit




senza freni

du bist frei
du kannst machen
was du willst
den film
anhalten
das leben
wiederholen
zeichen
einmeißeln
auf die bremse
treten
das gibt
es nicht




schneeregen und november
was soll draußen sonst schon sein
zwei sitzen und denken an manches
im täuschenden lampenschein
glauben jeder sie seien allein
doch ist einer des andern schatten
man weiß nicht recht welcher wem
am ende kann es auch gleich sein
es hat keiner den andern gesehn




regen

nun habe ich nichts mehr
zu tun in der welt
sie rauscht um mich her
wie ein starker regen
ich habe nichts mehr
zu tun mit ihr
sie muß sich selbst finden
da ich sie nicht fand




pulsar

da draußen ist ein stern
ich hab so einen nie gesehn
es gibt sterne die einfach
nicht stillestehn
sie drehn sich wie wild
um ihr eigenes leben
sind ein leuchtturm im raum
der strahlen ausschleudert
werfen nur so um sich
mit energie
geben morsezeichen
mit ihrem herzschlag
da draußen schlägt ein stern
wie mein herz in mir




prozeß

zeilen
lösen sich
aus zeilen

dehnen sich
schrumpfen

machen sich
den prozeß

weiter vieles
bleibt zurück



und nichts



polyphon

stimmen linear
verlaufend
ohne akkordische
bindung – soli
eigentlich

laß uns nicht
voneinander erwachen
laß uns
nicht schlafen im schlaf
sind wir weit




noch mehr

was sind das für klänge
sie sind ganz neu
und auch wieder nicht
gibt es wirklich noch andre
wie komm ich dahin
ist da noch mehr
was läßt sich noch finden
ist da etwas von mir
für mich bestimmt
was ist da noch
das ich annehmen kann
das ich annehmen muß
weil ich so nur sein kann
so nur bin




mit anderen worten II

im raum
gleich nebenan
im vorzimmer
gleichsam
einer möglichen sprache
die auf der zunge liegt –

lernen das warten
sein zu lassen
das ab
sonderliche

eine grotte
die sich nach innen faltet

wer weiß, was dort geschieht –

das unbekannte
rollt sich ein
verkriecht sich
zwischen den seiten

sich streichen
mit der hand
über den mund




mit anderen worten I

langsamer stetiger wunderbarer regen –
wie soll ich dich unterscheiden von der erde
das meiste liegt im dunkel, das meiste ist meer
und ich soll alles lesen als wäre es wer –

ich soll alles lesen aus dem gegenteil
da ich aus einer anderen richtung komme
ich kann dich nicht unterscheiden weder noch
und doch lasse ich für den einen akkord alles stehn




liebe allein IV

es gab zeiten
da wollte ich
sie nicht mehr
nicht so
es tat zu weh
war zu vergebens

nun ist sie da
absichtslos
liebe allein
sie ist groß




liebe allein III

wie wenn
sich eins sorgsam
des lebens enthält
aus sorge
um des lebens heil –

doch wirst du in der
nie endenden nacht
endlich bei mir sein
endlich bei mir sein

einen augenblick lang
entbehren wir, dann
werden wir uns
nie mehr verlieren




liebe allein II

wie rührt was nicht da ist meine hände an
die nicht vermögen
zu berühren

wie kam es daß sie untauglich wurden
da aus einem dazwischen
unbedingtes sie streifte

was kann es heißen wenn sie
gehalten sich wissen als
wären sie geweiht




nur wo du bist, entsteht ein ort.
elisabeth barrett browning



liebe allein I

zwischen zweigen
die leeren räume
sind es die mich
sagen ein muster
sorgsam
ausgespartes

dort ist musik
mitzugehn
ihr abzulauschen
wohin sie führt
was sie hält
kann leicht sein




imbecile

du, die du nichts hast
als was du sagst, irgendsoein
gedanke dazwischen
ein nebel, in dem du
zu sehen meinst
ein geruch, der da sein könnte
bevor du ihn riechst
du angeblich in alles
gelöster gegenstand

an deiner eigenen einbahnstraße
stehst du in der falschen richtung
und wartest darauf
mitgenommen zu werden




herbstfrühe

alles bleibt so still
und kalt ist es geworden.
eine lampe nur
schiebt noch die grenzen hinaus
die mich dunkel umstehen.




h-moll

das sagst du nur so leben
daß du richtest
auf und zu und ab und an
und hin und her –

mein dunkler schwan
in deiner mitte
bedeutet mehr
so viel mehr




es ist danach

da ein geist
den andern gefunden
sind sie gespenster
der räume
inzwischen

es gibt
das einssein
einen moment
und nur mit einem
hat es zu tun

mit meiner
ganzen liebe schreibe ich
an
gegen das nicht

es ist danach

wie sterben
ein wenig




erweckung

was dich findet
aus den winkeln und ecken
mancher blicke
es ist vollkommen
aus der luft gegriffen
aus abstrichen an
kompromissen mit
schreiender unmöglichkeit
und nur du weißt
da hast du dir wieder
ein gedicht erweckt




ein einsehen

wie mehrfach gefilterter
kaffeesatz
bei armen leuten
auch bei denen

unendlich vermehrtes
unendlich verzweigtes
und alles
hat mit allem zu tun

das aufstrahlen und zugleich
das verglühn
eines meteors am himmel
den niemand gesehn

wie dies hier
doch besseres
hab ich nicht zu tun




drumherum

natur, die gebiert und zurück empfängt
das jahr ist schon weitgehend aufgebraucht
ungewiß, was einem da entgegensieht
irgendwie ist es dann doch vollendet
wir glauben, rote beete sei gut fürs blut
wir glauben so viel

man ist schon weitgehend aufgebraucht
und denkt drumherum, doch es bleibt dabei:
mamatschi, solche pferde wollt ich nicht.




dieser tage

nun lebe ich so sehr
von tag zu tag beinahe
von stunde zu stunde –

dieser tage kann
an einem einzigen dieser tage
in einer solchen stunde
ein ganzes
immenses
leben geschehen




diese steine

hier endet es hier beginnen beide
land und meer in stein angeordnete
nacht sakrales tags scheuern sich
die kühe an ihnen und zwischen ihnen
pfeift der wind

so viele sonderbare motive
so unerklärlich du schaust noch immer
nach ins dunkel das licht hinter dir
lassend so wie du einst fürchtetest
die zeit wenn sie gewesen sein würde
nun ist sie gewesen ob auch gleich
daneben die welle kommt so kommst du
wieder und wieder es bleibt dabei
der spiegel ist leer du gehst immer zu weit
weg man muß nach hause finden können
auch wenn es nicht die volle wahrheit ist meer
land und steine durch das undichte herz
pfeift der wind




die von der göttin im sonderauftrag
akkreditierte priesterin spricht:
ich lasse dich nicht
du segnest mich denn
indem du dein bestes ihr zu ehren
immer neu bringst hervor aus dir




die apparate

ich muß die apparate abstellen
die stecker rausziehn
die sperren funktionieren nicht
ich muß die stecker finden
ich muß die apparate finden
einer bin ich




der tag, an dem ich fortfalle
wird ein tag des trostes sein
dies eine nur soll mein sein
dies eine nur ganz mein




der rest

nach all dem
heimlichen
zusammenstehlen
gegen
den geheimen
willen
das offene geschenk:

in der einen
und anderen
form
das weinen




das verwünschte verwunschene wort

noch nie war ich so
um das wort verlegen

nie so besorgt
daß es nicht genügt

nie hab ich mich damit
so verloren gefühlt

nie hatte es buchstäblich
für alles einzutreten

wobei ihm nie weniger
zu trauen war

es straft mich für jeden
mangel sofort

nie gab es für mich
so sehr nur das wort




brief

dunkel wird wieder
der frühe morgen

etwas muß sein
zwischen dem verhüllten
und dem nackten tag

komm in meinen
sinn

doch es ist nicht darum
daß ich schreibe
in mir sagt es leise
leise, leise




bordeaux

st. émilion und der ganze wein
schlösser und burgen, comptoirs
place de la bourse und noch mehr so was
ich habe von alledem nichts gesehn
ich hatte nur augen für mon barbu
das radio spielte den ganzen tag
que je t’aime
que je t’aime
que je t’aime
(johnny halliday ganz klar
es war der sommerhit in jenem jahr)
für die vielen klischees kann ich nichts dafür
es gibt zeiten, da sind sie alle wahr
es war heiß, an die fünunddreißig grad
und an den wochenenden gings ans meer
mimizan-plage, arcachon, soulac
nie mehr habe ich das meer so erlebt
damals lernte ich nicht nur seine sprache
sonst habe ich nicht viel mitbekommen
nur mon barbu, der das alles war
ich habe dort nur geliebt




binnenmeer

mir noch ein leben vorzunehmen
nachdem sich lange keines fand
gern schliefe ich

doch hält etwas mich wach
mein schiff hielt sich lange
in offenen gewässern

ich aber bin ein binnenmeer
mein ereignis ist schon lange
und keine minute her

nur noch eins
ich käme bald nach




aus gedämpftem licht

stiller rauch
im morgen ein bild
das sich geöffnet
durch eine wand an der es
hinunterlief das
erscheinen einer hand
von der niemand weiß –

kahl ein moment
von höchster schönheit zugleich
der mich
geöffnet




auf gut glück

einen satz formulieren
der sich gleich wieder verkrümelt

sich flach legen und fühlen
wie das blut sich verteilt

wie letzte blumen versuchen
sich hervorzubringen

wie in der kantate
seele lerne dich erkennen

kommt drauf an kommt ganz drauf an




auf der heide

die nacht war scharf
und hell die ganze nacht
ein flugzeug hält
auf hamburg zu
feucht und kalt
ist meine bleibe
lear stammelt sich voran
die geister drücken sich
in den ecken herum
auch im norden
der mich erwählt
ist nicht alles möglich
für mein abenteuer brauche ich
ein ereignisloses leben




andacht

schauen
lesen
im angesicht

da das andere
klein wird
da das weitere
aufgeht

im angesicht eines
großen
zu großen

lesen dürfen
lesen müssen




... ihr ewigen gedanken des himmels.

christian morgenstern




an die wolken, nach der wüste

da ist etwas
was ich wirklich weiß:
auch wenn sie so haltlos
im unsichern ziehen
vorbei, vorbei, schwer und leicht
gesammelt, zerstreut – der
wolkenlose himmel
ist leer.

mir sei willkommen
jede von ihnen




an den grenzen

kann sein du tust
einen schritt

kann sein du wirst
gestoßen

kann sein eine hand
nimmt dich bei der hand




am morgen gleich


jählings durchdringt mich
wieder deine bedeutung
nur in dieser
dimension nicht sichtbar
bin ich da
nah bist du wie
das eine wort
zum sprechen bringen




alles anders


was sollte schon sein
wenn von einem moment
zum andern nichts
mehr steht –

nur eine
welt geht
unter die
eben noch be-
stand


23. Mai 2008



zeichengebung

komm ans fenster –
es ist
und bleibt geschlossen.
wir geben
was uns gegeben ist
empfangen
durch ein geschlossenes fenster.

komm
ans fenster –
dort wollen wir warten




winterling


wieder trügen die zeichen

könntest erzählen
doch so war es nicht
es waren augenblicke
und lichtjahre bis
zu ihrem erkennen

alles wurde gut
nicht an einem tag
aber für viele




vor allem

es muß sich sagen
aber kein wort fällt
die nacht wird grau
schwere tiere stehn
mit gesenkten köpfen
dämmern und warten
noch ohne schatten
nebel treibt herein
die gräser hören sich wachsen
dann in der letzten trübe
schießt alles aus
dem großen gemächt
der einzige schrei
ist ungesprochen




verwunschen

immer seh ich wie du tanzt
im traum –

wie konnte es
so weit kommen mit mir
drehten sich die sterne
oder ich oder wer

ist dies pochen
hämmern schlagen
draußen drinnen
die melodie

finde nicht antwort
weiß nur eins hätte

so gern
getanzt
im traum
mit dir




treiben


wie jemand am fenster
steht und sieht
hinaus, wo im sonnenschein
der schnee treibt

wie jemand sieht dies
und erste verse über den frühling
schreibt.




tiefer


einmal werde ich tiefer wissen
um die hingegebene hand
um das ganz erlösende wort
wenn der lärm verstummt
wenn das schwinden kommt
und wie ich in dir vollendung fand




strahlen


es ist nur eine erinnerung
darum hielt sie sich

nie mehr als halb wach
weißt du nicht
ob es nacht oder morgen
gibt
oder ob du
aus dir leuchtest

was an sonnenwind war
hat sich gelegt
in klare linien

durch die gesenkten lider
in den vielen welten
der durchscheinenden roten töne
ist alles, was du siehst
selig und rein

große hitze brannte einst
deinen schatten in die wand
dies bleibt unverstanden
aber geschehen

das warm, das eis -
vielleicht wirst du einst
erwachen in ihm





still werden

wie es leise
vor sich hin schneit
und schon wieder
dunkel wird –

will ich versuchen
freundlich zu sein
denn ich werde alt

und die einsicht
daß ich mich in allem
einem verdanke
schenkt mir
im schwindenden
halt




sinnig


aus dem strudel heraus noch einmal
gibt es mich jedenfalls
sieht es so aus

mein herz soll doch
nicht ganz so stark schlagen –
ist das nicht sehr sinnig?

sie sagen ich wäre mir gleich




silberne nacht
so stark dein licht
ich muß dich nicht nennen




sandkorn

am ende ist es so
als hätte man sich nie gesehen
ich habe mich nie gesehen
es gibt grenzen für die zuträglichkeit
den stein zu heben und zu betrachten
was unter ihm lebt
ich bin kein stein
so versäume ich alle ausverkäufe
dem boden gleich




meilenstein


meilen und meilen und
sagt mir nicht
wie weit es noch ist
nicht woher der wind
kam wohin ging
nicht wo mein atem
blieb sagt nur
es ist so weit
bis zum nächsten stein




we are ugly but we have the music.
leonard cohen: chelsea hotel no.2




leicht

das ohr der see, der sirenen
der ton ach, das sinken
erster schrei, der uns sprengt
um alle lust, in chören
der tiefe leicht, in uns drinnen
zu singen
denken




leben weit


leben weit
über land gestreut
an straßen gehalten
in jedem haus
wenn noch vorhänge sind
und im garten
krokusse blühen
ist leben allein
oder nicht allein
erhalten verfall
bekannt ungekannt
die fluktuationen

in der vorbeifahrt
selbst eine bin




je suis lasse


das aufscheinen täuscht
das liegt in den banden
und der nächste tag schon
ist wieder graukalt
februar ist sein monat
dafür kann keiner
der ihn nicht einmal mehr
überwinden will
ein vorwurf nur halb
die andere hälfte folgt
und warum ohne zorn




jahr und tag

über dem
was es birgt
gebeugt

mal
von leben
das nicht lebt

zu denken
der regen
geht




intarsie

ein bild so genau
in mich eingelegt –
große kunst große fügung
war hier am werke
konturen farben
von außen von der mitte
die sich unterscheiden
einander entsprechen
alles ist wieder eben
wie zuvor
nur ging ein anderes
in mein bild ein
neue linien nuancen
neues leben
und ich bin davon ganz
neu geworden




fraglich?


geschwister
muß ich noch irgendwo hin
habe ich etwas noch ganz und gar
nicht gesehen
als wie die spur
zu dir
da ich ein leben lang
dich nicht am leben wußte
da ich ein leben lang
dich nun am leben weiß




ergebnislos

so viele tage an denen
ich nichts erreichte
nicht ast, nicht ort
kein wort das mir einfach
in den schoß fiel
wo blieben sie
kein wind ging durchs haus
in dem nichts mich erreichte
so viele tage schon
obgleich gezählt
lohn der geduld
und der nachgiebigkeit
die immer gab nach –
nicht das maß an dem sich
leben erwählt




endlich

alt genug sein
um nicht zu träumen
im kopf die geister
wandern lassen
auf ihrer reise

dann den rest
der nichts besagt
nicht gesagt werden kann
in die irre führt
und weiter fort

jemand lächelt
möglicherweise




ich glaube nicht, daß irgendwer weiß, was worte sind.
auch ich weiß es nicht, aber ich spüre sie, sie machen mich aus.

elias canetti



durch sich

und dann? das wort, was macht es mit einem?
meint es mich? durch sich?
meine ich mich?
durch dich sein, ist das außer sich sein?
wie kommt ein bild
in diese zeichen?
wem gehört das in uns?
wen hört es?
denkt es sich? und mich?
und was tue ich?




dieses holterdipolter

außer der ordnung
gehört alles den sternen

zwischen dem nahen
und dem entfernten
verschoben sich gewichte

gerieten ins gleiten
während die ermunterung
schlange stand

eine wahrheit durchzieht die nächste
nicht weit
von der andern

wie die dinglichkeit
die in mich hineingriff




diastole systole

ich folge meinem herzen
mit den augen
ist es dort vor mir?

seltsam, es zeichnet
eine leuchtend grüne spur

wie leicht es springt
wie es lautlos dahinsingt

ist es
dieser tanz auf dem bildschirm?
wo will es denn noch hin?

ich folge meinem herzen
seinem sinn




beiweitem

über mir ein dach
ein leichtes zelt

unter mir der boden
sand

so kannst du
ruhig schreiben

alles was falsch ist
sieben steine hinter mich




ausgedacht


auf dem grund eines eiszeitsees
umgetrieben siehst du vor den endmoränen
die äußerste bleibe: das gedicht.
du wirst zu den elementen.
nacht fällt. die wege erstrecken sich, wenige folgen.
du bist in einem augenblick
unter vielen. das tauwetter war nur imaginär,
es umspielt deine knöchel. von der fiktion
einer himmelsrichtung bleibt
nichts. ein dunkles loch ohne schrei.




am bach


ein papierschiffchen
auf die reise schicken
und sehen was geschieht
das würde mir reichen
aber ich zähle die zeit
denn sie muß einmal enden
die leuchtspur im ganzen
ein papierschiffchen
befrachten
mit so etwas – so etwas wie –
ewigkeit




alles gibt es
und nicht
von westen kommt es
gen westen gehen wir




niederlassungen

weiterhin trage ich
mein herz umher
wie im märchen
das verlorene
die krumen hinter mir
picken vögel auf
dort zieht die karawane
weiter verschwindet
in den horizont hinein
nicht mehr lang und ich werde
kalt konstatieren
daß sie stehenblieb
wenn das nicht wahr ist
den rest erbt mein schatten
in den abend geworfen
vom dunkel geschickt




als ich erfuhr, daß der alte meister basho
in naniwa krank darniederlag
und ich von fushumi aus mit dem nachtboot
herunterfuhr:

hingestreckt auf dem
boot, zwischen gepäckstücken –
such ich frierend schutz

kyorai



lesen

in diesem augenblick
erlebe ich kyorais
dreihundert jahre alte
einsamkeit




denn der mönch
ist in das universum selbst gekleidet
takuan


klare nacht

nun stört jede musik
außer jener wandernden

ein spätes flugzeug steigt
und nimmt es mit den sternen auf

ihre lichter sagen
daß du vielleicht heimkommst




und wie fortgetragen
bleiben wir
giuseppe ungaretti




pferdekopfnebel


als du erwachst, die helligkeit –
ein zeichen für dunkel

die worte werden weniger

und die dir entgegenkommen
sind schon vorbei

aber um ihn zu sehen
brauchen wir doch licht –

laß mich schlafend
in den nächsten schlaf gleiten




schon möglich

du siehst und siehst nicht. etwas sieht –
als wären noch nie dinge für dich geschehen

ich sitze hier nach meiner gewohnheit
und lasse den abend vergehen
alles andere auch

das einfache ist kompliziert geworden
und umgekehrt
ihnen gemeinsam: trockenheit

wenn der nachtwind auffrischt, fliegt es herum
zeigt, was es ist: zerknülltes
müll




cantilena

immer sagen
sei mir nah

wiederholen immer
traum ist wahr

wiederholen immer
ist ein traum

wieder sagen
sei nur da

na na na ...

nur traum ist da
sei nah




da

es sind die grausamen
einfachheiten die im vorbeigehen
weitergehen viel zu weit
am laufenden band dabei
ist die mitteilung längst
erfolgt und erfolgt und
nichts folgte du hast
das land verlassen da
ist immer noch alles da




schwindel

nichts hindert mich
dem meer zugewandt
seine freiheit
mit meiner zu vergleichen

schwerer ist es
mit den vögeln

doch auf einmal
fühlt es sich seltsam an
zu liegen -
fast wie in einem boot

das stichwort fiel
aus dem radio




heute

wo sterben die vögel
alle sterben ja.
wo sind sie dann
ich sehe sie nicht
heute ist alles
wie nie gewesen
wer weiß schon vom schicksal
der menschen der vögel




wieder sinkt die welt schweigend
in sich zusammen
und das herz
lernt es nie

die sonne schien
so blühte es auf
die sonne ging

immer wird nur alles
gewesen sein

gewesen
doch das herz
lernt es nie




things hang like a drop of dew
upon a blade of grass.
w.b. yeats



galaxien

lang lang das dämmern

nun sind sie gesehen
mit augen, eigenen
aber fremden
da sind reste und bleiben
gesagt wurde, sieh –
in leere räume
wo immer jemand war
das änderte alles
auch das schweigen




danach

so einfach wieder
sich frei auszuteilen –
du darfst dich verweilen
nach deinem gutdünken
du zählst nicht
unter den ordentlichkeiten
ein stück weit
wollen wir uns begleiten


22. Mai 2008



die lösung

lösen, lösen
alles löst sich
auf
was wurde, was war
war es –

schon nicht mehr da
das ist die lösung
aller rätsel
weißt schon nicht mehr
ob es wahr




formel

all das unmögliche
das möglich schien –

den zauber nicht brechen
den zauber neu sprechen